Mittwoch, 26. August 2009

So lebt's sich in der dritten Welt

Willkommen in der Regenzeit - nun scheint sie wirklich da zu sein. Warum? Gestern hat es fast durchgeregnet, die Luftfeuchtigkeit liegt endlich über 90% und heute morgen - man glaubt es kaum, da ich ohne Leinentuchdecke geschlafen hatte, weil nach dem Waschen nicht trocken geworden, fühlte sich mein Ellenbogen kalt an. Ich will nicht sagen, ich fror, aber immerhin verspürte ich einen Hauch von Kühle.

Wie ihr seht nehmen die Abständer der Berichte aufgrund von Zeitmangel jetzt schon zu, komisch - obwohl ich doch als Lehrer vormittags Recht und nachmittags frei habe. Aber zum Schulalltag später mal mehr. Heute möchte ich euch das "Leben" hier schildern.
Ich selber war mit einigen Vorurteilen hergekommen: Ich dachte, alles sei billig, ich werde nur von Mücken gestochen, es ist ekelig heiß oder regnet den ganzen Tag, überall lauern Spinnen und Schlangen, alle mittelamerikanische Frauen sehen toll aus und und und...

Denkste! Eigentlich stimmt nichts davon, außer vielleicht das mit den Schlangen und Spinnen, nur dass die zum Glück nicht bewusst menschliche Nähe suchen. Und da ich keinen eigenen Garten suche, bin ich bisher fast verschont geblieben. Eine erschlagene Schlange sollte ich in Alkohol einlegen, um sie zu konservieren, eine pubertierende Vogelspinne kam kurz aus der Decke des Klassenraumes. Ansonsten - toi, toi, toi - hab ich es hier echt gut. Ich wohne in einem Condomino, was weder etwas mit Kondomen noch mit Dominospielen zu tun hat, sondern nichts anderes als eine im anglizistischen Sprachraum als "gated comunity" bezeichnete bewachte und von Mauern und Stacheldraht umgebene Wohnsiedlung ist.


Momentan zahle ich für ein Appartment mit Wohn-Ess-Bereich, 2 Zimmern und Bad 500US$, was deutlich zu viel ist. Begründung: möbliert, nur 6-Monatsvertrag.

Das ganze könnt ihr euch genauer anschauen:
http://www.freewebs.com/condominioallyson/


Wie ihr seht ist es nett gestaltet, mit Pool, Tennisplatz, Racketcourt (naja) und Basketballkörben. Außerdem hab ich hier die Möglichkeit, die 400m lange Auffahrt hoch und runter zu joggen oder zu flanieren. Das ist schon mal ein Stück Freiheit, was ich nicht überall hätte. Und nach der Schule eine halbe Stunde in den Pool gehen zu können, um den Körper vor einer hitzebedingten irreversiblen Denaturierung zu bewahren ist auch Luxus.
Weitere Vorteile sehe ich darin, dass...
...ich auch mal länger wegfahren kann, ohne mich um jemanden zu kümmern, der mal nach dem Rechten schaut.
...kein Garten bis an die Tür = weniger Tiere vor und im Haus (bisher eine Cucaracha)
...kein eigener Garten = kein Gärtner
...hier seltener der Strom ausfällt (ca. 1mal pro Woche)
...hier Wassertanks stehen, so dass wir bisher immer Wasser hatten (es gibt Kollegen, die hatten drei Tage keins)
...das Internet hier einigermaßen zuverlässig ist (oft an Strom gekoppelt)
...kein eigenes Haus = keine Hauszugehörige Empleada, die mit mir wohnt und meine Sachen aus dem Kühlschrank ist.
...kein Wachmann, der meist besoffen ist und schläft, oder gar nicht kommt und im worst case vielleicht auch noch einen unschuldigen Passanten erschießt.


Folgende Nachteile habe ich:
- kein eigenes Obst aus dem Garten
- keine Grillparties mit Freunden


Nun könnte sich letzteres Problem bald lösen, da ich überlege, vom Appartment in ein Townhouse zu ziehen. Im Moment git es ein special offer - 600US$ möbliert bei 12 Monaten Laufzeit - also nur 100US$ mehr. Da ich mit Merle ohnehin etwas größeres brauch, könnte ich jetzt schon zuschlagen, auch wenn das etwas übertrieben viel für mich ist. Aber eben draußen sitzen, wenn auch nur auf 4x5m Betoninnenhof.

Jetzt wisst ihr also, was ich nach der Schule mache - Pool und dann wenn es geht, auch am Pool korrigieren, ab 18Uhr setzt die Dunkelheit ein - das ganze Jahr lang - und ich verschiebe die Arbeit nach drinnen. Um 22Uhr liege ich in der Regel im Bett, schlafe bis 5:30 und der nächste Tag geht los.
Freizeit bisher: besagter Strandurlaub, 3 mal Einkaufszentrum, 1 Stück Käsekuchen mit Karamellsauce, 1mal McDonalds (halber Preis), 1mal Pizza, 1mal Restaurant (mittags), ein Pokerabend (+100Cordobas =3 Euro), 5 mal großer Supermarkt, 2 mal kleiner Supermarkt (wenn man nicht fliegenübersäte Lebensmittel auf der Straße kauft, sondern im Supermarkt, sind sie übrigens teurer als in Deutschland!);

Mehr war noch nicht, aber die meisten machen hier auch nix, auch Schüler und Eltern nicht. Man ist eben einfach wohlhabend und genießt seinen Wohlstand indem man sich hinter Mauern versteckt und ein isoliertes Leben lebt. Wichtig: möglichst viele Angestellte, die einem die einfachsten Dinge abnehmen, ein möglichst hoher Zaun, tausende technischer Kleinstgeräte zur Unterhaltung, dickes Auto, Labtops, riesengroßer Flachbildschirm, neustes Handy, dickster Ipod der Welt. Herrlich - genau mein Ding! Ein wunderbares Leben in dem ich all meine Bedürfnisse befriedigen kann.

Und wenn ihr mir noch so oft schreibt, dass alle zu Hause mich bewundern und neidisch sind, dass ich mich das getraut hab und dass ich mich sicher bald eingelebt habe - diese Dinge werde ich trotzdem weiter kacke finden! Ich werde mich sicher nicht daran gewöhnen, ich hoffe es sogar, dass ich mich nicht dran gewöhne! Und ich sitz hier nun auch nicht und freu mich, dass mich jemand bewundert. Wer mich kennt weiß, dass mir das immer sehr egal war, was andere dachten (so lange es nicht unberechtigt etwas schlechtes über mich war) - so lange ich mich so entfalten konnte, wie ich wollte. Und das geht hier definitiv nicht. Im Moment bin ich daher ganz froh, dass ich sehr viel zu tun habe. Die Wochen verfligen nur so, wenn da nicht die Merlelose Zeit wäre, die macht die Tage schon lang. Nächste Mal stell ich euch dann die Schule vor - und ich versuch mal Fotos zu machen, versprochen.

Ich hoffe, ihr schreibt mir nun trotzdem weiterhin nette mails ;-)

Zum Schluss noch ein paar Bonbons der Lebensweise hier:
x morgens werden die meisten Kinder mit Geländewagen gebracht, d.h. großes Verkehrsaufkommen vor der Schule, das zum Glück von ca. 12 Menschen in gelben Warnwesten und mit Trillerpfeifen "geregelt" wird
x ausparken für Gehirnamputierte: auch an jedem Supermarkt stehen diese Pfeifenmänner und winken wie bekloppt, auch wenn man im Umreis von 15m das einzige Auto ist
x wir haben kein Müllproblem, wir verbrennen doch alles (auf der Straße, im Wald, ...)
x Schulbus hält, Kind steigt aus, Schulbus fährt an, Schulbus bremst, Kind steigt aus; gefahrene Strecke: 6,5-8m herrlich!!!

Mittwoch, 12. August 2009

Stadtflucht

Ein ganz normaler Wochenendausflug?
" Stadtflucht ist die Bezeichnung für die Abwanderung
der großstädtischen Bevölkerung in das Umland "
So ist es im Umweltlexikon-online definiert. Auch hier in Managua ist dieses Phänomen zu beobachten, vor allem in wohlhabenderen Kreisen, wenn auch nur an langen Wochenenden, um dem Smog und der Hitze der Hauptstadt zu entfliehen. Ein solches langes Wochenende stand vom 08.-10. August an, da am Montag Santo Domingo zelebriert wurde und somit schulfrei war.
Ich hatte das Glück, dass mich ein paar Kollegen gefragt hatten, ob ich das Wochenende mit ihnen am Strand verbringen wolle. Und so machten wir uns am Freitag nachmittag auf Richtung San Juan del Sur, einem Hafenstädtchen ca. 140km südwestlich von Managua. Die Vorfreude, durch Dauerregen ohnehin etwas getrübt, war schon nach 10km verflogen. Wir fuhren bergauf in eine Kurve, als plötzlich die zwei vor uns fahrenden Wagen abbremsten. Dann sahen wir es, ein bergab fahrender Pick-Up war wohl ins Schleudern gekommen und hatte sich überschlagen. Zwar wird in diesem Land streng darauf geachtet, dass Fahrer und Beifahrer angeschnallt sind, auf der Ladefläche dürfen aber so viele Menschen transportiert werden, wie sich festhalten können. Bei Gelegenheit schicke ich mal ein Foto.
Uns bot sich also erstmal ein grausiges Bild, ich glaube sieben Kinder lagen über die Fahrbahn verstreut. Der Wagen war schnell wieder aufgerichtet, die Eltern befreit, dutzende Menschen rannten panisch umher, Kinder weinten und schrien, zitterten vor Schock - aber niemand schien ernsthaft verletzt. Nachdem die Polizei vort Ort war, setzten wir die Reise fort. Passend zur Stimmung fuhren wir in gut 1000m ü.NN durch dichtesten Nebel, bevor gegen 18 Uhr die Dunkelheit die Sicht auf die Landschaft nahm.
Nach unserer Ankunft an einem abgelegenen Strand stellten wir fest, dass in dem Hostel, wo ich und zwei andere (Marco aus Flensburg und Lars aus Berlin) nächtigen sollten, kein Platz mehr frei war. Somit durften wir an der Hütte der anderen in Hängematten unter einem Palmenblätterdach schlafen.
Das war schon ziemlich genial, in höchstens 40m Entfernung brandeten die Wellen des Pazifiks. Es roch sehr intensiv nach Ozean und über den Boden wuselten unzählige Einsiedlerkrebse und handtellergroße schwarz-rote Krabben. Der Strand lag in einer Bucht, so dass man sehr gut schwimmen konnte, ca. 15min entfernt soll der beste Surfstrand Nicaraguas, vielleicht sogar Mittelamerikas, liegen. Und gutes Omelett bekommt man dort! Von San Juan del Sur liegen diese abgeschiedenen, nur mit Jeep erreichbaren Strände, ca. 30min entfernt, daher war es schön leer. Wir hingen in einer Strandbar rum, schlürften günstige Smoothies, quatschten, badeten, ich holte mir nen Sonnenbrand - und das in der Regenzeit!
Einen Nachmittag waren wir dann auch in San Juan del Sur, sehr touristisch, aber im Vergleich zu Managua schon eher zum Wohlfühlen geeignet, weil 1) ein richtiger Ort und 2) viele Leute auch im Dunkeln über die Straßen liefen. Außerdem konnte man sehr gut essen.

Insgesamt waren es drei nette Tage, die mir gezeigt haben, dass dieses Land für Touristen einiges zu bieten hat. Sehr beruhigend zu wissen, dass wenn einen die Stadt ankotzt, man durchaus das Wochenende in einer tollen Umgebung verbringen kann - wie gesagt, absolut intensives Meer-Erleben für alle Sinne. Und zum Glück wurden wir nur von komischen Quallen "gestochen", nicht aber von einem Stachelrochen. Das ist nämlich einer Kollegin passiert.

Samstag, 1. August 2009

Das perfekte Leben!

Auf die Frage, ob ich mich eigentlich auf Nicaragua freue habe ich vor meinem Abflug eigentlich immer mit "nein!" geantwortet. Immer starrten mich dann verdutzte Gesichter an, voller Erwartung auf eine Erläuterung meiner unerwarteten Antwort.
Nun ja, ich würde mein Leben in Hannover schon als nahe an der Perfektion beschreiben:
Endlich einmal konnte ich in der Nähe von Merle wohnen, meine Mitbewohner waren nett, ich konnte von der Wohnung aus alles schnell erreichen - Ärzte, Geschäfte, Joggingstrecken, alles war in unmittelbarer Nähe. Dadurch blieb einfach sehr viel Zeit für andere Dinge.
Dazu ein halber Job, der Geld gebracht hat (Schule) und ein etwas mehr als halber Job, der einfach nur phantastisch war und unglaublich viel Spaß gemacht hat - der Zoo!
Außerdem hatte ich in Hannover mit den Zooleuten schnell neue gute Freunde gefunden.
Ich war glücklich, daher war es doch wohl offensichtlich, dass ich mich NICHT freute. 147 Tage ohne Merle - wie soll man sich auf so etwas freuen???

Ich habe das ganze mehr als eine Lebensaufgabe aufgefasst, als eine Veränderung, die man mitmachen muss, um hinterher gestärkt das weitere Leben leben zu können. Etwas, das man sich herbeisehnen würde, wenn man es nicht gemacht hätte. So hatten Merle und ich unsere Entscheidung auch begründet. Wir waren beide skeptisch, waren uns aber auch beide sicher, dass wir es später bereuen würden, wenn wir diese Möglichkeit nicht nutzen würden.

So ging es also mit viel Geheul am 19. Juli auf Richtung Managua. Zwei Stunden Verspätung schon beim Abflug, eine übereifrige Sicherheitsbeamtin, die mir nicht glauben wollte, dass man für Nicaragua kein Visum braucht, Business-Class mit all den Vorzügen, neun Stunden ruhiger Flug bis Atlanta, Staunen über die Siedlungen der USA aus der Luft betrachtet, Verwirrung am riesigen Flughafen in Atlanta, vier Stunden Warten, ein nicht sehr komfortabler Flug nach Managua (4 1/2h), komischerweise keine Probleme bei der Einreise, abgeholt vom Schulleiter, viel zu viele neue Eindrücke im dunklen Managua, untergebracht bei Kollegen. Zwei Bier, gut geschlafen.

Am nächsten Tag wurden mir direkt mehrere Häuser vorgeführt, das beste war leider über das Wochenende vermietet worden. Anschließend waren wir an einem Pazifik-Strand für wohlhabende Menschen. Ganz nett war es da. Lauter blau-rote-Krabben liefen am Boden lang und der schwarze Vulkanaschestrand brannte unter den Füßen. Dass wir auf dem Weg dorthin mehrmals wegen Kühlerproblemen halten mussten, ließ mich ganz kalt. Es war ein schöner Tag, der mit einer Partie Carcassonne endete.

Die nächsten 4 Tage war ich abwechselnd auf Wohnungssuche, redete mit Kollegen darüber und hospitierte in der Schule. Glücklicherweise konnte mich Bastian, mein Vorgänger, noch einarbeiten und übergab mir auch - ich glaube - ziemlich gute Materialien.
Am Freitag letzter Woche zog ich dann in mein eigenes Appartment, das ich einem Haus in Schulnähe vorzog. Warum, das schreib ich euch beim nächsten Mal...